„Die USA erzählen ihre Geschichte anhand der
Erfolge, Brasilien erzählt seine Geschichte anhand der Misserfolge“, Aldo
Rebelo, 06.05.2014
Heute
hatte ich überraschend die Gelegenheit an einer Pressekonferenz des
Sportministers Aldo Rebelo für ausländische Korrespondenten teilzunehmen. Große
Teile der Pressekonferenz konzentrierten sich auf das Problem der
Vor-WM-Hysterie, die ich erst kürzlich beschrieben habe: http://www.imlanddesfussballs.blogspot.com.br/2014/04/die-kirche-im-dorf-lassen.html.
Mehrere
Journalisten stellten Fragen zu den Problemen der WM in Brasilien: Gewalt,
Verspätung, Misswirtschaft. Auf diese Fragen antwortete der Minister immer
lapidar: „Wir haben unsere Problem und ihr habt eure. Ich kann garantieren,
dass wir nach besten Wissen und Gewissen handeln und versuchen die
bestmöglichste WM zu organisieren. Wir sind nicht perfekt, aber andere auch
nicht. Ich bitte darum dies fair darzustellen.“ Nachdem sich diese Fragen
wiederholten, begann er mit einer Aufzählung der Missstände in dem Land des
Fragestellers, zum Beispiel die Unruhen in den Banlieues von Paris, der
erschossene Brasilianer in London oder die Zugexplosion in Spanien.
Am besten
fand ich seine Antwort für die Engländer: „Die Engländer haben über die Gefahr
der Kobras und Kaimane, aber auch der Hitze, in Manaus berichtet. Ich habe mir
den Spaß erlaubt und einmal die Statistik der Kobrabisse in Manaus angeschaut.
Ich kann ihnen garantieren, dass sie nicht Besorgnis erregend ist. Übrigens
haben wir in ganz Brasilien Engländerfriedhöfe. Das ist eine Erinnerung an das
englische Imperium, in dem die Sonne nie unterging. Damals haben die Engländer
hier Zuglinien verlegt. Ich kann ihnen garantieren, dass die WM die Bevölkerung
dieser Friedhöfe nicht entscheidend erhöhen wird. Übrigens haben sich die Engländer
sehr gut an das heiße Klima gewöhnt. So sehr, dass es bis heute im
Amazonasbecken ein britisches Guyana gibt. Auch im Irak und in Afghanistan
scheint die Hitze kein Problem zu sein.“
Die
Situation wurde damit kurios, denn es wurde nicht ein Wettbewerb „Wer ist der
Bessere?“ ausgerufen, sondern „Wer ist nicht der Schlechteste?“. Man wirft sich
gegenseitig Missstände vor. Ich kann die Position des Ministers verstehen, denn
er dürfte diese Vorwürfe täglich zig-mal hören. Auf der anderen Seite hätte ich
gerne nicht nur Vorwürfe und Verteidigungen gehört, sondern auch ein paar
konstruktive und innovative Ideen.
Deshalb
habe ich selbst die Frage gestellt, ob das Sportministerium Zugriff auf
Erhebungen hat, die Nachzeichnen welches Image Brasilien im Ausland hat, ob die
WM genutzt werden konnte, um dieses Image zu bessern und welches Image das sein
könnte.
Auf
Erhebungen ging Aldo Rebelo nicht ein, woraus ich schließe, dass er diese nicht
hat. Das führte dazu, dass er in seiner Antwort die, nach seiner Meinung,
positiven Seiten Brasiliens hervorhob: „Brasilien hat 16.000km Grenze und kann eine
politische Einheit ohne ungelöste territoriale Forderungen vorweisen. Wir sind
stolz auf eine Zivilisation, die ohne Regionalismen und ohne den Ausschluss von
Minderheiten auskommt. Wir sind die siebtgrößte Wirtschaftskraft der Welt und
haben eine Konkurrenzfähige Landwirtschaft. Im Gegensatz dazu sind Landwirte in
Europa subventionierte Staatsangestellte. Wir sind stolz auf das was wir
erreicht haben und besonders stolz auf unsere Rassenmischung, die den Ursprung
Brasiliens darstellt. Leider leiden wir unter einem Straßenköterkomplex, der
dazu führt, dass wir unsere Leistungen nicht immer positiv darstellen. Die USA erzählen ihre Geschichte anhand der
Erfolge, Brasilien erzählt seine Geschichte anhand der Misserfolge.“
Während
die ausländischen Journalisten das Stereotyp des gewalttätigen Brasilien
bemühen stellt er dem das Stereotyp des friedfertigen, antirassistischen
Brasilien gegenüber. Auch nicht wirklich besser, aber immerhin zeigt er zum
Schluss etwas Ironie und Selbstreflektion.
Ich
glaube, dass Brasilien nicht die Zeit hatte, um infrastrukturell ein neues Land
zu bauen. Diese Erwartungen waren einfach überzogen. Brasilien wird bis zum
12.06.2014 genügend Stadien, Straßen, Flughäfen und Hotels gebaut haben, um die
WM unfallfrei über die Bühne zu bringen. Aber Insgesamt finde ich es sehr
Schade, dass keine neuen innovativen Ideen entwickelt und mit dieser WM positiv
verbunden wurden. Ideen, die das eigene Volk begeistern und Brasilien als
attraktiven Standort erscheinen lassen. Ich denke, dass dazu von Anfang an eine
umfassende klare Strategie der Regierung gefehlt hat. Sie hätte darstellen
müssen, warum Cuiabá und Manaus bei der WM dabei sein muss, welche ökologisch
nachhaltigen Ideen vertreten werden, wie man innovativ Armut bekämpft und wie
man Demokratie leben kann. Ganz abgesehen von der kulturellen Energie
Brasiliens in bildender Kunst, Kino, Literatur, Küche und nicht zuletzt Musik.
All das kann Brasilien symbolisieren. Ich befürchte, hier wurde eine große
Chance verpasst.
Und ganz
schüchtern, aber dennoch in der Defensive, ist Aldo Rebelo dann doch noch auf
ein paar Punkte eingegangen. Insgesamt verteidigte er, dass die Vorteile einer
WM, die Nachteile überwiegen würden, dass der Haushalt des Sportministeriums nur
1% dessen was in Gesundheit investiert wird darstellen würde und dass Manaus an
der WM teilnehmen musste, da man keine Region ausschließen kann.
Er
erklärte Brasiliens Rechtsstaatlichkeit an einem Zwischenfall, der sich letztes
Wochenende in Recife ereignet hat. Dort wurde eine Toilettenschüssel von der
Stadiontribüne geschmissen, was einen Fan tötete. Der Minister hob hervor, dass
der Täter festgenommen wurde, Beweise zusammengetragen wurden und er verurteilt
werden wird. Diese Rechtsstaatlichkeit könne nicht kurzfristig erreicht werden,
sondern müsse langwierig konstruiert werden.
Schließlich
wurde er noch gefragt, ob das Abschneiden der brasilianischen
Nationalmannschaft Einfluss auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im
Oktober haben könnte. Er verneinte das natürlich. „Ich ändere doch auch nicht
meine Stimme, weil Palmeiras gewinnt oder verliert.“ Gut, Palmeiras ist ein
Verein, der nur eine kleine Fangemeinde betrifft, während die Nationalmannschaft
die Nation repräsentiert. Deswegen sehe ich da Unterschiede. Es ist natürlich
nicht nur der Sieg der Nationalmannschaft für die Wahl entscheidend, aber ich
denke schon, dass wenn die Brasilianische Gesellschaft das Gefühl hat, dass die
WM ein Reinfall war, dann wird die aktuelle Regierung abgewählt. Sieg oder
Niederlage der Seleção sind natürlich ein wichtiger Faktor, um den Erfolg oder
Misserfolg dieser WM zu beurteilen.
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