Sonntag, 7. Juli 2013

Out of Brazil: Rugby in Argentinien


Sehnsucht nach dem Winter? Dann muss man einfach Mitten im Juli einen Flug nach Argentinien buchen. Buenos Aires hat mich mit kühlen fünf Grad empfangen. Bitterkalt für meinen Geschmack. Aber Buenos Aires hat auch viel zu bieten, zum Beispiel saftige Steaks und schöne Architektur. Leider wurde die argentinische Fußballmeisterschaft am letzten Wochenende beendet. Meister wurde Velez mit einem 1:0 im Finale gegen Newells.
Aber Argentinien ist nicht so eine Sportmonokultur wie Brasilien und so kann man hier auch Tennis, Polo und Rugby bewundern. Also habe ich mich gestern bei wolkenbedecktem Himmel mit dem Zug nach San Isidro aufgemacht, um dort das Spitzenspiel der ersten Liga von Buenos Aires (http://www.urba.org.ar) zwischen San Isidro Club (CIS) und Club Universitario de Buenos Aires (CUBA) zu sehen.


Rugby ist in Argentinien der Sport der gehobenen Mittelschicht. Er wird in den Klubs in den Vororten der Provinz Buenos Aires oder auf dem Land ausgeübt, wo diese Gesellschaftsschicht ihre Wochenendhäuser hat. Deshalb fährt man mit dem Zug über eine Stunde, um zu den Stadien zu kommen. Man kann auch nicht wirklich von Stadien sprechen. In Argentinien spricht man von den Countries, das sind geschlossene Viertel in deren Mitte ein Sportklub liegt, der normalerweise Rugby, Hockey und Golf anbietet. Die Vereine verfügen über ein Sportheim, in dem man sich gesellig zum Grillen oder zum Kaffee trifft.


Der Ort San Isidro ist eine Hochburg des argentinischen Rugbys. Hier befinden sich mit dem Club Atletico San Isidro (CASI) und dem SIC, zwei der wichtigsten Rugbyvereine des Landes. SIC hatte gestern ein Heimspiel gegen einen weiteren Titelaspiranten: CUBA. Um genauer zu sein: Es handelt sich um eine Regionalliga von Buenos Aires. Die nationale Meisterschaft findet erst gegen Ende des Jahres statt.
Ich komme mit dem Zug in San Isidro an und erwische sofort den Bus 333, der mich mit freundlicher Hilfe des Fahrers an das Tor des Clubs bringt. Dort musste ich 50 Pesos (etwa €10) berappen, was im Preisgefüge Argentiniens teuer ist. Die Nationalmannschaft – Los Pumas – hat sich inzwischen in der Weltspitze zwischen Südafrika, Neuseeland, Australien, England und Frankreich etabliert. Trotzdem ist die Vereinsstruktur noch sehr amateurhaft. Was auch zum Klassenethos der Rugbyspieler passt.


Ein Spieltag ist praktisch ein Treffen der beiden Klubs. Während die Jungs Rugby spielen, üben sich die Mädels im Hockey nebenan. Die Eltern treffen sich zum Kaffee im Klubheim. Als ich ankommen finden gerade die Spiele der dritten und vierten Mannschaften statt. Ich hole mir erst mal ein Steaksandwich und ein Bier und setze mich auf die Holztribüne. Als dann die zweite Mannschaft einläuft bauen einige Frauen einen Kuchenstand auf und ich gönne mir eine Schokoladentorte mit „Dulce de Leche“ (Karamel) und viel Schlagsahne. So verbringt man gut den Nachmittag in geselliger Runde.
Bedenkt man den Amateurstatus dieses Sports, so überrascht es doch, dass ESPN das Spiel live übertragen hat. Witziger Weise wird SIC von Direct TV, also einem Konkurrenten von ESPN gesponsert. Während des Spiels der ersten Mannschaften wurden die TV-Kameras mehrfach für den Videobeweis benutzt.


Rugby ist ein sehr schönes Spiel, das meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland erfährt. Es ist faszinierend wie die Mannschaften mit viel Teamgeist ihre Spielzüge aufbauen müssen, da man nur rückwärts passen darf. Ebenso beeindrucken die „Kampszenen“, in denen sich die kräftigen Leiber gegeneinander werfen, um den Punkt zu erzwingen. Die Regeln sind nicht ganz einfach und die Zuschauer erkennen oft nicht, was im Gewühl geschieht.
Schon die Zählweise ist komplex: 5 Punkte für eine Try, der zu einem Conversion-Schuss führt (2 Punkte) und Penaltys zählen drei Punkte. Gestern haben beide Mannschaften je zwei Trys erzielt (vergleichbar mit dem Touch Down im American Football), konnten aber keinen einzigen Conversion verwerten. So fiel die Entscheidung mit den verwerteten Penaltys: SIC erzielte einen und CUBA drei, Endergebnis: SIC 13, CUBA 19.
Das Hauptspiel war sehr gut besucht, ich würde um die 2.000 Zuschauer schätzen. Ich hatte auch das Gefühl, dass mehr Fans von CUBA, als von SIC anwesend waren. Gegen Ende sangen sie sogar Lieder, was eher ungewöhnlich ist. Es gibt einige sehr überraschende Dinge im Rugby. Dazu gehört, dass es keine Fankultur im Sinne von Musik und Gesang gibt. Immer wieder beeindruckend ist, wie kommentarlos Schiedsrichterentscheidungen hingenommen werden. Man muss sich an den Spruch: „Rugby ist ein Hooligan-Sport, der von Gentleman ausgeübt wird und Fußball ist ein Gentlemansport, der von Hooligans ausgeübt wird.“, erinnern. Gestern wurde sogar überraschend ein Spieler von SIC vom Platz gestellt, was den Auswärtssieg von CUBA ermöglichte. CUBA eroberte damit die Tabellenspitze und jubelte dementsprechend ausgelassen.



Eine andere Eigenheit ist, das oftmals Leute auf das Spielfeld kommen, während das Spiel weiterläuft. So betreten die Ärzte, um einen verletzten Spieler zu behandeln, den Platz. Deswegen wird aber das Spiel nicht unterbrochen. Bei Penaltys bringen Kinder die Stütze für den Ball in Eiform. Insgesamt war das Spiel schön ausgeglichen und somit sehr dramatisch. Es ist sehr gut zwei Mannschaften auf ähnlichem Niveau zu sehen. Somit konnte ich nach meinem Tag in San Isidro zufrieden meine Heimreise ins Zentrum von Buenos Aires antreten.

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