Montag, 17. Juni 2013

Tahiti – Nigeria, 1:6


Ich bin in meiner zweiten Station Belo Horizonte angekommen. Auf dem Programm stand das Spiel des Außenseiters Tahiti, der eine riesige Medienaufmerksamkeit erfährt, gegen Nigeria. Schon gestern Nacht landete ich auf dem Flughafen Confins. Meine Gastgeberin Marina holt mich am Flughafen ab und jammert über die Vorbereitungen zum Spiel. „Nicht nur unsere Straße, sondern der ganze Stadtteil wurden für Autos gesperrt. Man kommt kaum noch durch. Parken ist auch verboten.“ Und tatsächlich, als wir ankommen erhebt sich vor uns ein kurioser Schilderwald und leere Straßen.


Heute, am Spieltag, waren wir dann lieber zu Fuß unterwegs. Zuerst in einer Wirtschaft stärken, um die berühmte Küche der Mineiros zu testen. In großen dampfenden Steintöpfen wird uns viel Fleisch, Speck, Kohl und Maniokmehl geboten. Gut gesättigt treten wir den Marsch zum Stadion an. Die Straßen sind weiterhin leer. Tahiti – Nigeria ist halt kein Publikumsmagnet. Kurz vor dem Mineirão kommen wir am „Amarelinho“ vorbei. Eine Traditionelle Fankneipe, die sogar überraschender Weise geöffnet ist. Wir dachten, dass sie an Spieltagen schlossen werden muss. Gemütlich trinken hier ein paar Fans ein Bier.


Von dort sind es nur noch wenige Schritte ins Stadion. Am Stadionvorplatz werden von den Sponsoren mehrere Spielchen angeboten, wie Torwand schießen, oder Fotos machen. Im Stadion ist endlich mal die Beschallung nicht mehr ganz so laut wie in Brasilia oder dem Maracanã. Viele Sitze bleiben leer, nur etwa 20.000 Zuschauer wollen die Tao Aito, die Eisenmänner, gegen die Adler aus Nigeria sehen. Aber immerhin verirren sich sogar ein paar Fans der beiden Mannschaften in das weite Rund.  


Die Brasilianer haben sich klar entschieden: sie unterstützen Tahiti. Die Tao Aito betreten den Platz mit Muschelketten und singen ihre Hymne.


Sollten die Tahitianer irgendeine Hoffnung gehabt haben, so wurde diese schnell zerstört. Schon in der 5. Minute schießt ein Tahitianer in den Rücken des Unparteiischen. Von dort prallt der Ball so ab, dass er vor die Füße von Echiejile fällt. Dessen Schuss wird von zwei Tahitianer so abgefälscht, dass er unhaltbar ins Tor fliegt. Von da an pfeifen die Brasilianischen Zuschauer nur noch bei Ballbesitz Nigeria. Zu ihrem Jubel gelingt Tahiti sogar ein Tor in der 54. Minute. Aber zum Schluss heißt es dann doch deutlich 6:1 für Nigeria.


Mein Kollege Reinhard von der Zeitschrift „Ballesterer“ aus Wien kommt Mitte der zweiten Halbzeit ins Stadion gehetzt. „Kommst du jetzt erst?“, frage ich. „Ja, im Zentrum wird wieder demonstriert und mein Bus kam nicht durch.“ Der Confed Cup hat Brasilien scheinbar aufgerüttelt. Auch gestern vor dem Spiel Italien – Mexiko gab es Proteste in Rio de Janeiro. Heute sogar im ganzen Land: Brasilia, São Paulo, Rio de Janeiro, Fortaleza und Belo Horizonte. In Rio waren es beeindruckende 100.000 Leute. Angeblich 40.000 in Belo Horizonte. 
Nach dem Spiel treffen wir Silvio und Priscilla von der Uni UFMG. Wir werden von der Polizei gezwungen einen bestimmten Weg zu nehmen, der „Fanwalk“ genannt wird. Kurz vor der Avenida Antonio Carlos gehen wir in eine Kneipe. Wir bestellen ein Bier und Rippchen mit Guavensauce (sehr lecker!), als wir plötzlich bemerken, wie Hunderte von Polizisten zu Kreuzung abgezogen werden. Ich habe mir das natürlich angeschaut. An der Kreuzung kam es zum Aufeinandertreffen der Demonstranten und der Polizei. Als dann aber Tränengas versprüht wurde, haben die Besitzer der Bar die Nerven verloren und die Türen verrammelt. Wir waren dann drinnen gesessen. Der Dampf des Tränengases kam trotzdem durch die Ritzen rein. 


Wir tranken weiter gemütlich unser Bier. Die Brasilianer haben einfach keine Hooliganerfahrung. Irgendwann wurden die Türen wieder geöffnet, um endlich die Luft zirkulieren zu lassen. Dann begannen wir zu diskutieren.
Marina sagte: „Ich habe mehrere Blickwinkel. Zum einen halte ich die Proteste für berechtigt. Zum anderen halte ich sie für gefährlich, da sie politisch genutzt werden können, von Leuten, die ich eher nicht in der Politik sehen will. Außerdem denke ich mir: Lass die Demonstranten vorbeiziehen und es wird nichts passieren.“ 


Silvio ergänzte: „Leider haben politische Vereinigungen in Brasilien die Ideologien vernachlässigt, um ganz pragmatisch Wahlen zu gewinnen. Das ist bei diesen Demonstrationen auch der Fall.“ 
Darauf Marina: „Ich habe Angst , dass die politische Rechte sagen wird: ihr die PT, die politische Linke, die jetzt mit Dilma an der Regierung ist, ward nicht in der Lage, die WM zu organisieren.“ 
Wir zahlen. Marina wohnt gleich gegenüber. Marinas Eltern haben natürlich auch mitbekommen, was passiert ist. Als wir ankommen beginnen Marina und ihr Papa Geraldo zu diskutieren. „Demokratie heißt auch Grenzen zu respektieren. Diese Demonstranten respektieren nichts. Sie müssen in ihre Schranken gewiesen werden.“, so Geraldo.



Darauf Marina: „Aber die Demonstranten sind doch hier nicht die Starken. Wer sich hier mit Gewalt durchsetzen will ist die Polizei. Sie brauchen Grenzen.“ Geraldo ist ein alter Kämpfer von den Gewerkschaften und jetzt wahrscheinlich froh, dass die PT an der Macht ist. Er merkt wohl kaum, dass er sehr konservative Meinungen formuliert. Klar wird, dass die Sportgroßereignisse einigen Zündstoff haben und dieser sich jetzt entlädt. Man darf gespannt sein, wie sich das weiterentwickelt.

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