Montag, 3. Juni 2013

Corinthians – Ponte Preta, 1:0


São Paulo ist ein absolutes Paradies für Gourmets. Diese Woche war ich chilenisch, portugiesisch, italienisch, amazonisch und japanisch essen. Am dritten Spieltag konnte ich noch mit zwei deutschen Freunden – Christian und Simone - ein Spiel von Corinthians im Pacaembu verfolgen. Zuvor waren wir in einem jüdischen Restaurant, wo es leckere „Gefillte Fisch“ (Kalte Fischfrikadellen mit einer Meerrettich-Rote Beete-Sauce) gab. Danach liefen wir in Enricos Hauskneipe Tiro Liro ein, um das deutsche Pokalfinale zu sehen und schon mal vorzuglühen. Das klappte Alles hervorragend. Enrico konnte uns sogar mit dem Auto zu dem sehr zentrumsnah gelegenen städtischen Stadion Pacaembu fahren.  


Das Pacaembu wurde 1940 in der typischen Architektur der Zeit von Präsident Vargas eingeweiht. Es wurde in ein Tal gebaut, so dass man direkt vom Hang aus in die Oberränge der Tribünen kommt, während sich hinter der Kurve der Heimfans eine imposante Fassade Richtung Charles-Miller-Platz erhebt. Lange, klare Linien und Säulen bestimmen diesen Modernismus-Stil. In den Räumen dieser Tribüne befindet sich auch das sehr empfehlenswerte brasilianische Fußballmuseum, das aber an Spieltagen geschlossen ist.


Am Stadionvorplatz angekommen, bemerken wir, dass es für die Kurve der Heimfans keine Karten mehr gibt. Also kaufen wir kurzer Hand Eintrittskarten im Gästebereich für die deutschen Besucher (R$30 = €12, ist ok). Wie schon am Mittwoch im Morumbi, so wurde auch hier der Vorplatz „gereinigt“. Es gibt keinerlei Fressbuden, die die berühmten Sandwiches mit Schweinehaxen anbieten könnten. In Seitenstraßen sehe ich Leute, die die heißen Grillplatten direkt in den Kofferraum ihres Autos gebaut haben und so Sandwiches verkaufen. Sie haben viel zu tun.


Christian und Simone gehen schon mal ins Stadion, während ich mich mit der Presseabteilung von Corinthians auseinandersetze. Am Presseeingang werde ich informiert, dass ich zunächst ein Armband brauche und das bekomme ich nur auf der anderen Seite des Stadions. Dort angekommen erklärt mir der Pressesprecher, dass er keinen Platz mehr für mich hat. Man muss hier erklären, dass ich einen brasilianischen Sportjournalistenausweiß habe, der mir Zutritt zu allen Spielen garantiert. Das funktioniert auch immer, nur Corinthians will das im Moment außer Kraft setzen. Grund scheint zu sein, dass viele Corinthiansfans zu solchen Ausweißen gekommen sind und sich so Zugang verschafft haben, ohne zu arbeiten und ohne zu zahlen. Ich musste also alle meine Überredungskünste zusammensuchen, um meinen Zutritt zu garantieren. Mit meiner Versicherung, dass ich weder Corinthians-, noch Ponte Preta-Fan bin, habe ich es dann auch geschafft.
Corinthians ist einer der wichtigsten brasilianischen Vereine. Er hat nach Flamengo die zweitgrößte Fanmenge in Brasilien. Letztes Jahr gelang es dem Team sowohl die Copa Libertadores, als auch den Weltpokal zu gewinnen. Der 1910 von italienischen Migranten gegründete Verein, gilt als der Arbeiterklub in São Paulo. In seinen Reihen spielten schon einige der wichtigsten Stars Brasiliens, wie Rivellino, Socrates oder Casagrande. Letztere beteiligten sich an der „Corinthianischen Demokratie“, einer Redemokratisierungsbewegung zum Ende der Militärdiktatur.


Der größte Fanklub von Corinthians, die „Gaviões da Fiel“, war auch an der „Corinthianischen Demokratie“ beteiligt und konnte sich so großen Einfluss im Klub erarbeiten. Heute hat der Fanklub seine eigene Sambaschule, mit beeindruckenden Vereinsstrukturen, die regelmäßig an den großen Karnevalsumzügen in São Paulo teilnimmt. Der organisatorische Aufwand ist immens.
Da jeglicher Machtfaktor hinterfragt werden muss, wurden die „Gaviões da Fiel“ zu einem der polemischten Fanklubs Brasiliens. Sie, und mit ihnen alle Corinthiansfans, gelten landesweit als ungehobelt, schlecht erzogen und gewalttätig. Aktuell werden die Ereignisse rund um ein Libertadores-Spiel der Corinthians in Oruro (Bolivien) diskutiert. Dort veranstalteten die „Gaviões da Fiel“ eine Pyrotechnik-Show. Leider hatten einige Fans die unglückliche Idee ihr Feuerwerk in den Heimfanblock zu schießen. Ein Fan von San José wurde dabei so schwer getroffen, dass er verstarb.


Die bolivianische Polizei hat daraufhin willkürlich 12 Corinthians-Fans festgenommen, die bis heute – also schon über drei Monate – in Oruro festsitzen. Es ist inzwischen ziemlich klar, dass der eigentliche Täter nicht darunter ist. Die bolivianische Seite scheint die 12 eher als Geiseln zu verwenden, um die Herausgabe des Täters zu erzwingen. Corinthians nutzt diesen Umstand, um sich selbst als Opfer darzustellen. Mehrfach ertönten Sprechchöre, die auf die „12 Unschuldigen“ aufmerksam machten. Die „Gaviões da Fiel“ organisierten für Samstagabend ein Benefizkonzert zu Gunsten der Familienangehörigen. Dies wurde vom Stadionsprecher verkündet.


Ich traf Christian und Simone im Auswärtsfanblock wieder. Dort sah man die Sache natürlich anders. Ponte Preta ist ein kleiner Verein aus Campinas im Hinterland von São Paulo, von wo etwa 500 Fans anreisten. Für die Ponte Preta Fans ist Corinthians natürlich der arrogante Verein aus der Großstadt, dessen Fans ungehobelt, schlecht erzogen und gewalttätig sind. Sie hofften auf einen Außenseitersieg.


In der ersten Halbzeit nahm Corinthians mit seinen Starstürmern Alexandre Pato (Ex-Milan) und Paolo Guerreiro (Ex-Bayern und HSV) zwar das Heft in die Hand konnte sich aber nicht wirklich Chancen erarbeiten. Es war eigentlich ein recht schlechtes Spiel. In der zweiten Halbzeit machte dann der Außenseiter überraschend richtig Druck und kam zu mehreren Chancen, traf aber nur den Pfosten. Mitte der zweiten Halbzeit schickte der Trainer von Corinthians mit Emerson seinen dritten Stürmer auf den Platz. Das verunsicherte Ponte Preta so, dass er schon nach wenigen Minuten das 1:0 Siegtor erzielte. Danach war die Luft raus.
Wir verließen das Pacaembu und machten uns daran das Tal, am Friedhof vorbei, zur U-Bahnstation hinaufzulaufen. Von dort waren es nur wenige Stationen bis zu unserem Hotel. Die Heimfahrt ging rasch und unkompliziert.


P.S.: In der Früh waren wir im Afrobrasilianischen Museum im Ibirapuera-Park. Dort wurde eine Ausstellung zu Ehren der Afrobrasilianischen Fußballspieler Brasiliens gezeigt. Einer der wichtigsten war Friedenreich, dessen Biografie ich geschrieben habe.

Keine Kommentare: