Sonntag, 14. Oktober 2012

Madureira – Vila Nova, 3:1



In der dritten Liga Brasiliens „Serie C“ sind im Moment drei Vertreter aus Rio de Janeiro: Macaé, Duque de Caxias und Madureira. Letzterer ist ein Tradionsverein aus den Vororten Rios und von den drei Klubs für mich am leichtesten zu erreichen. Also habe ich mich gestern mit einigen Freunden auf den Weg gemacht, um Madureira im Abstiegskampf zu unterstützen.
Die Stadtteile in Rios Norden sind in der Südzone, wo die berühmten Strände von Copacabana und Ipanema liegen, als gefährlich und rückständig verschrien. So mutet es immer wie ein Abenteuer an, wenn man sich am Hauptbahnhof Central trifft, um einen Zug in die Vororte zu nehmen. Wer diesen Schritt aber wagt kann eine ganze neue Welt entdecken. Gerade Madureira ist ein bekanntes Viertel, denn dort wurde der afrobrasilianische Tanz Jongo erfunden und bis heute gepflegt, es gibt zwei große Sambaschulen (Império Serrano und Portela) und es gibt Rios größten populären Markt, den Mercadão, auf dem man Lebensmittel, Kleidung und Religionsartikel kaufen kann. Und dort befindet sich eben der Madureira EC, dessen Vereinsgelände direkt an die Markthallen angrenzt.


Unsere Zugfahrt führt uns aber zunächst mitten durch eine der größten Favelas der Stadt „Jacarezinho“. Von unserem Fenster aus sehen wir schauerliche Holzhütten, die den Schienen gefährlich nahe kommen. Die Gleisanlagen unter den Brücken sind einer der berüchtigtsten Drogenumschlagplätze. Wir atmen auf, als wir diesen Bereich hinter uns gelassen haben. Die Vororte werden von der unteren Mittelklasse Brasiliens bewohnt und sind meist sehr idyllisch. Hier gibt es weniger Hochhäuser und mehr kleine Einfamilienhäuser im Kolonialstil mit Garten. Am Bahnhof in Madureira ist die Hölle los. Es scheint als ob ganz Rio de Janeiro zum Shoppen gekommen ist. Auch wir lassen uns einen kurzen Bummel durch den Mercadão nicht nehmen und essen ein Steak zu Mittag. 


Doch jetzt kommt der eigentliche Höhepunkt: das Spiel von Madureira gegen Vila Nova aus Goiás. Der Madureira EC ist ein sympathischer Stadtteilklub, der seinen Mitgliedern nicht nur Fußball, sondern auch ein Schwimmbad, Bauchtanz und sogar einen Frisör anbietet. Zu den Spielen kommen selten mehr als 200 – 300 älteren Herren aus der Nachbarschaft, die hier ihren Samstagnachmittag verbringen. So war das auch gestern. Wobei ich sogar eine kleine Torcida (Ultragruppe) aus etwa 10 Jugendlichen getroffen habe. Hinter dem Tor steht einsam Diego, ein Hardcorefan von Madureira.
„Ich ziehe es vor entscheidende Spiele alleine hinter dem Tor zu verfolgen. Da kann ich mich besser konzentrieren. Und heute geht es um viel. Die Mannschaft ist in letzter Zeit sehr verunsichert. Ich hoffe sie gewinnen heute.“, erklärt mir Diego. Die Lage von Madureira ist tatsächlich nicht rosig. Am vorvorletzten Spieltag befindet man sich auf einem Abstiegsplatz und braucht verzweifelt die drei Punkte, um überhaupt noch eine Chance zu haben.
Vila Nova hingegen hat noch eine Chance in die Play-offs um den Aufstieg zu gelangen. Die dritte Liga ist in Brasilien zweigleisig in Nord und Süd aufgeteilt, um zu lange Reise zu vermeiden. Die vier Bestplazierten der beiden Ligen spielen dann den Aufstieg in Play-offs unter sich aus. Aus Vila Nova war sogar ein stimmgewaltiger Fan angereist, der hier sein Liedgut zum Besten gibt:


In der ersten Halbzeit kam Madureira kaum vor das Tor von Vila Nova. Die Gäste drückten mehr und kamen zur großen Chance dieser Halbzeit. Doch der Stürmer von Vila Nova vergab freistehen vor dem Torwart. Der Platz in Madureira ist ein Acker, der kein filigranes Spiel zulässt. Es war klar, dass nur ein Zufallstreffer das Spiel entscheiden konnte.


Madureira kam in der zweiten Halbzeit besser ins Spiel und erarbeitete sich Chancen. Vila Nova versuchte nun den Spielrythmus durch brutale Fouls zu unterbrechen. Dies führte zu Verletzungen und zwei frühen Auswechslungen bei Madureira. So bekam der junge Stürmer Derlei seine unerwartete Chance und nutzte sie. Zu Beginn der zweiten Halbzeit tankte er sich über links durch und zog zum 1:0 ab:


Kurz darauf versuchte ein Spieler von Vila Nova mit seinen Stollen das Gesicht eines Gegenspielers zu durchbohren und wurde dafür zu Recht vom Platz gestellt:


Die Fans von Madureira fühlten sich jetzt schon auf der sicheren Seite, doch Vila Nova nutzte eine Unaufmerksamkeit und kam zum Ausgleich. Aber Madureira drückte nun, um den Sieg einzufahren. Dem ehemaligen Spieler von Flamengo Jean gelang dann auch das 2:1, das er fast ins Tor trug. Er ließ es sich nicht nehmen die Fans am Gitter hinterm Tor zu umarmen. Kurz darauf machte Derlei mit seinem zweiten Tor durch einen Heber über den Torwart alles klar. Die Fans in der Gegengerade organisierten spontan eine Polonaise. Madureira hat seinen ersten Schritt aus der Abstiegszone heraus gemacht, aber, um wirklich sicher zu sein, müssen eigentlich die letzten zwei Spiele auch noch gewonnen werden.

Derlei wird von seiner Tochter nach dem Spiel beglückwünscht.


Nachtrag: Diese Woche strahlt der brasilianische Sportsender ESPN Brasil eine Dokumentationsreihe über die Vereine aus den Vororten Rios aus. Hier der Trailer:


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