Donnerstag, 13. September 2012

Vasco da Gama – Palmeiras, 3:1



Der einzige echte Arbeiterverein unter den großen vier Rio de Janeiros ist Vasco da Gama. Der Verein trägt seine Heimspiele seit 1927 im clubeigenen Stadion São Januário aus, das in der ärmeren Nordzone liegt. Malerisch winden sich die engen Gassen durch den Stadtteil São Cristóvão bis zum Vereinssitz. Vasco spielt heute gegen Palmeiras und ich komme etwa zwei Stunden vor dem Spiel am Stadionvorplatz an. Wuchtig ragt die Fassade der Haupttribüne mit ihren portugiesischen Fliesen zwischen den Einfamilienhäusern hervor.
Um das Stadion herum gibt es unzählige Stände und Kneipen, die Bier und Salziges verkaufen. An einem dieser Stände kaufe ich mir Maniokbällchen und sehe das Spiel von Vascos Stadtrivalen Fluminense in São Paulo gegen Portuguesa am TV an. Um mich herum trifft sich eine Gruppe älterer Herren, die eine Tipprunde organisiert hat. Trotz der Rivalität haben die meisten auf einen Sieg von Fluminense gesetzt, denn die „Dreifarbigen“ sind seit vergangener Woche Tabellenführer. Fluminense gewinnt 2:0 und verteidigt so die Spitze.
„Jetzt fehlt nur noch ein Sieg von Vasco!“ sagt Jorge neben mir und wedelt aufgeregt mit seinen Tippzettel. „Wirst du das Spiel sehen?“, frage ich ihn. „Na klar, ich bin auch zuversichtlich, trotz der Krise.“, antwortet er. Mit Krise meint er, dass diese Woche der Trainer Cristóvão Borges aufgrund schlechter Resultate zurückgetreten ist.
Die Karriere von Cristóvão ist kurios, denn er wurde nur Cheftrainer, da im August 2011 der damalige Cheftrainer Ricardo Gomes während eines Spiels einen Schlaganfall erlitten hat und für arbeitsunfähig erklärt wurde. Der damalige Assistenztrainer Cristóvão Borges rückte von einer Sekunde auf die andere vor laufender Kamera ins Rampenlicht. Wahrscheinlich war das aber eine zu große Belastung für ihn, denn nach nur fünf Punkten in den vergangenen neun Spielen kündigte er. Das ist überraschend, denn normalerweise kündigen Trainer nicht, sie werden entlassen.
„Aber ich glaube der Trainerwechsel kommt zum richtigen Zeitpunkt. Cristóvão hat die Mannschaft nicht mehr erreicht. Ich glaube sogar, dass er sie nicht mehr selber aufgestellt hat.“, fährt Jorge fort. Dann wird er von einem Bekannten begrüßt, mit dem er in eine weitläufige Debatte über den Tippzettel beginnt. Ich trinke mein Bier aus und begebe mich ins Stadion.  
Als die Mannschaften einlaufen organisieren die Fans einen Protest, indem sie mehrere Spruchbänder hochhalten. Auf ihnen machen sie ihrem Ärger über den Ausverkauf der Mannschaft Luft. Nach ihrer Meinung ist die Kündigung des Trainers ein weiterer Teil des Zerfalls der Mannschaft. Wenn man auf die Tabelle schaut, erscheint einem das Alles etwas übertrieben, denn Vasco befindet sich auf dem vierten Platz, der zur Teilnahme an der Copa Libertadores (Champions League Südamerikas) berechtigt. Damit befindet man sich weiterhin im Kampf um die Meisterschaft.
Das heutige Spiel wird zu einem Sinnbild vieler Probleme des brasilianischen Fußballs. Da ist erstens die niedrige Zuschauerzahl. Ich schätze, dass etwa 2.000 Fans anwesend sind, bei einem Spiel zweier Traditionsmannschaften. Ein Grund dafür kann die vermeintliche Krise von Vasco sein, aber viel wahrscheinlicher ist, dass das Spiel um 22.00h beginnt und die Anbindung des Stadions an den öffentlichen Nahverkehr äußerst prekär ist. In einer Millionenstadt wie Rio de Janeiro riskiert der Fan, an einem Mittwoch erst gegen 01.00h oder 02.00h heim zu kommen.
Das Spiel ist grottenschlecht. Palmeiras schießt das erste Tor und Vasco gelingt es, ich weiß nicht wie, noch vor der Pause auszugleichen. Ähnlich zufällig erzielt Vasco noch zwei weitere Tore in der zweiten Halbzeit. Der neue Trainer Gaúcho hatte scheinbar ein glückliches Händchen. In dem fast leeren Stadion kommt einfach keine Stimmung auf. Man muss sich wirklich fragen warum man sich das antut. Trotzdem war es wieder gut Menschen schimpfen und jubeln zu hören, ein Bier zu trinken und ein paar Worte mit anderen Fans zu wechseln. Gerade in dem altehrwürdigen São Januário, mit seiner fehlenden Infrastruktur, fühlt man sich schnell daheim.
Auf den Straßen rund um das Stadion befindet sich nach dem Spiel fast kein Mensch und ich muss bis zur nächsten größeren Avenida laufen, um einen Bus zu bekommen. Um 01.00h bin ich daheim. 


Nachtrag: Palmeiras rutscht mit der Niederlage auf den vorletzten Platz. Heute wurde deshalb der Trainer Luiz Felipe Scolari, der 2002 Trainer der brasilianischen Weltmeistermannschaft war, entlassen.

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